Feridun Zaimoglu

im Gespräch über Osteuropa, seine Geländegängigkeit und den Kinderblick auf Orte

Photo © Britta Rating

Herr Zaimoglu, was ist zuerst da: die Geschichte, oder der Handlungsort?

Am Anfang weiß ich um die Geschichte und später dann die Personen. Aus meiner geistigen Landkarte wähle ich dann die geeigneten Orte. Und erst vor Ort, wenn ich noch mal gezielt durch die Straßen gehe und mir Schauplätze anschaue, entsteht die eigentliche Geschichte mit all ihren Details. Die Recherche ist für mich sehr wichtig.

Sie haben bislang 7 Romane geschrieben. Wie sieht Ihre Landkarte aus, die die Handlungsorte zeigt?

Der zentrale Ort meiner Landkarte ist Kiel und der Norden im Allgemeinen. Es ist der Ausgangspunkt für Reisen meiner Protagonisten. Verzeichnet ist aber auch Berlin als Tor nach Osteuropa, genauso wie Polen, Ungarn und Tschechien. Und natürlich Istanbul. Mein neuer Roman spielt in Warschau und dem Ruhrgebiet.

Woher rührt Ihre Affinität zu Osteuropa?

Ich mag offene Gegenden. Wobei Prag mir zum Beispiel zu touristisch geworden ist. Ich war oft zur Recherche dort. Es ist auch in Berlin zu beobachten: wie aus Modemagazinen heraus gehüpfte Männer und Frauen, die Kleinigkeiten konsumieren. Das ist aufregend für die Jugend, aber nicht für mich. Auf mich wirkt es uniformiert und sehnsuchtslos. Ich mag eher das Skurrile und das Einfache aus dem Volk heraus.

Werden Sie dann nicht in Zukunft immer weiter nach Osten gehen müssen?

Ja, das stimmt, wobei ich mich in meinem neuen Roman eher ins Innere wende und deutsche Wirklichkeiten schildere. Auf meinen Lesereisen bin ich meistens in kleinen deutschen Städten unterwegs. Dort sammle ich viele Eindrücke.

Achten Sie auf eine wirklichkeitsnahe Abbildung der Orte?

Ich möchte keinen Stadtführer schreiben und dennoch sind mir Einzelheiten wichtig. Wenn bspw. eine Kirche ihren Ort hat, dann werde ich sie nicht verschieben. Aber die Gebäude, Denkmäler und Häuser sind ja nicht vorhanden, wenn keine Menschen existieren. Die Stadt wird also eingebunden in die Geschichte und natürlich ist es wichtig, wie die Protagonisten die Orte wahrnehmen. Das Vorgefundene wird also je nach Psychologie der Personen verwendet.

Ist es denn reizvoll, sich für eine längere Zeit mit einer bestimmten Region oder einem Ort zu beschäftigen?

Erstmal ja. Aber mich erfasst dann immer auch eine ungeheure Unruhe. Ich bin dann ein Getriebener, auch wenn ich in einem Café sitze und beobachte. Ich bin dann ein Handlanger und Spion im Dienste der Protagonisten und nehme folglich die Stadt anders wahr als bei einem privatem Besuch.

Ist es für Sie von Bedeutung, dass Sie Ihren Leser etwas von den Handlungsorten erzählen?

Ich möchte keine Geschichte erzählen, in der Städte lediglich als Kulisse vorkommen. Es geht hauptsächlich um Menschen in meinen Geschichten, aber trotzdem möchte ich mit meinen Mitteln versuchen, Orte für meine Leser als schöne Plätze zu beschreiben. Wichtig ist für mich dabei der Kinderblick, das heißt, ich möchte die Orte so beschreiben, als sehe ich sie zum ersten Mal, selbst wenn ich den Ort schon mehrmals besucht habe und eine gewisse Geländegängigkeit besitze. Und gleichzeitig tue ich alles um den Eindruck zu vermeiden, der Autor würde sich so gut auskennen, dass er eigentlich nur noch ganz ausgefallene Plätze zeigen will.

Haben Sie eine Sehnsuchtslandschaft?

Sehnsucht und Heimat sind für mich mit Deutschland verbunden. Meine 1.300 Lesungen haben mich in jeden Winkel des Landes geführt und ich kann wirklich behaupten, dass dieses Land wunderschön ist.

Spielt das Meer eigentlich eine Rolle in Ihrem Werk?

Mein Roman Liebesmale, scharlachrot ist ein Briefwechsel zwischen einem, der an die türkische Riviera fährt, um einen klaren Kopf zu bekommen und seinem Freund in Kiel. Und ich selbst lebe seit 26 Jahren in Kiel. Es riecht einfach anders am Meer. Ich kann mir nicht vorstellen von hier wegzugehen – es ist einfach zu schön hier.

Sie scheinen Städte gegenüber der Provinz zu bevorzugen.

Nein, im Roman Hinterland beschreibe ich auch Landstriche. Ich bezeichne mich allerdings als Stadtmensch, da ich mir nicht vorstellen könnte, auf dem Land zu leben – ich würde mich zu Tode langweilen. Und dennoch mag ich Wälder und Flusslandschaften. Mein neuer Roman hat mich nun auch zur Recherche in die Alpen geführt…

Interview © Jens Nommel 03/2010

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»Die längsten Reisen fangen an,
wenn es auf den Straßen dunkel wird.«

Jörg Fauser

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