Das Schloss im Wald

Dieses Buch erhellt möglicherweise mehr über Adolf Hitler und die damalige Zeit als alle Geschichtsbücher zu einem Verständnis des Unerklärlichen beitragen können. Der letzte Roman Normal Mailers dramatisiert die Jugend des späteren Diktators bzw. seine soziale Herkunft. Dabei waren für mich 3 Erklärungsstränge wesentlich: 1. Die kleinbäuerliche Herkunft Wir alle kommen irgendwie aus kleinbäuerlichen Verhältnissen, weil dies vor der Industrialisierung (und auf dem Land auch lange danach) die Normalität war. Wie Frauen und nahe Verwandte - insbesondere Mädchen - behandelt wurden: Es ist einfach schockierend. Mailer gelingt eine tiefgehende Beschreibung dieses ländlichen, beengten Lebens, die alleine schon dieses Buch zu lesen wert wäre. Da meist wenig Außenkontakte möglich waren, wurden sexuelle Notwendigkeiten im nächsten Umkreis ausgelebt. Ob Hitler aus mehrfachem Inzest stammt oder aus einfachem, spielt eigentlich keine Rolle. Tatsache ist wohl, dass man unter solchen Umständen wahnsinnig werden kann. 2. Der Einfluß des Vaters Adolf Hitlers Vater war ein aus dem kleinbäuerlichen Milieu aufgestiegener österreichischer Grenzbeamter (obrigkeitsgläubig, erfolgreicher Aufsteiger, Frauen-Sammler), der Frau und Kinder autoritär maßregelt und nach seiner Pensionierung eine noch größere (unproblematische Beherrschung und) Maßregelung entdeckt: das Züchten von Bienenvölkern. Der kleine Adolf darf ihn öfters zu einem (schwulen) Eremiten und Bienenvolkkenner im Wald begleiten und erfährt so eine weitere Prägung. (In der Beschäftigung mit Bienen ist mir übrigens dies aufgefallen, für mich überraschend: Die überwältigende Mehrzahl aller Bienenarten sind Solitärbienen und Kuckucksbienen, die keine Insektenstaaten bilden, sondern alleine leben und nur für die eigene Nachkommenschaft Brutpflege betreiben.) Man könnte den Vater als Aufsteiger und kreativen Menschen bezeichnen, der in der Pensionierung neben anderen Dingen z.B. die Beschäftigung mit Bienen entdeckt. Einmal erklärt er Adolf, den er auch zu Opernaufführungen mitnimmt, dass dieser doch nicht Künstler werden solle, sondern wie er, der Vater, zum Zoll gehen solle. Er hätte dann einen Beruf, der ihn am Wochenende frei mache, um kreativ zu sein. Kaufleute bzw. die Knechte der beginnenden Industrialisierung nähmen ihre Arbeit doch immer nach Haus mit, diese hätten nie Ruhe! 3. Der Teufel Ist es nicht so, dass monotheistische Kirchen an den Teufel glauben, ihm eine wichtige Rolle als unabhängigem Gegenspieler Gottes zubilligen? Was läge also näher als die Vermutung, dass Adolf Hitler vom Teufel persönlich bzw. einem nahen Erfüllungsgehilfen - schon als Kind - vorbereitet und (für seine spätere Rolle) in die Mangel genommen wurde? Wenn Kirche bzw. Religion nichts anderes als Menschengemachtes ist (nämlich unsere Wünsche und Projektionen abbildend, anthropogener Gott), dann erkennen wir das Böse in uns und wollen es personalisieren. Hat nicht auch Luther mit dem Teufel selbst gerungen? Normal Mailer hat sein eigenes Böses hinter sich, z.B. die Messerattacke auf seine damalige Frau Adele (1960). Er fühlte sich damals überfordert, die Abgründe seiner Handlung, die Komplexität seiner Gedanken literarisch darzustellen. Vielleicht ist der Hitler persönlich betreuende Teufels-Abgeordnete eine reduktionistische, aber allemal spannende Erklärung um die Hintergründe der Entstehung des Bösen. Das jüdische Verständnis vom Satan kennt diesen als Engel, der ebenso wie die anderen Engel von Gott selbst beauftragt und gesteuert wird. Da Ha-Schem (=Gott) als Schöpfer von Licht und Dunkelheit verehrt wird, gibt es in jüdischer Tradition und Glauben keinen Ort oder Raum, der nicht von Gott erfüllt bzw. transzendiert ist. Normal Mailer beschreibt also in seinem jüdischen Verständnis eine göttliche "Befehlskette". Die feine Ausbalancierung der menschlichen Gegensätze aus Gut und Böse, die philosophischen Betrachtungen um den "Dummkopf", wie Gott von den Teufeln genannt, sind ein besonderer Leckerbissen dieses Buches. Hat Gott versagt und erhält deshalb von noch höheren Mächten des Universums die Strafe durch teuflische Heerscharen? Warum fallen alle den teuflischen Verlockungen so wehrlos zum Opfer? Wie können Menschen Freude empfinden, wenn Menschen in ihrer Nähe einfach verrecken? Welche Parallelen gibt es zwischen den Aristokraten aus Russland und modernen Industriekapitänen? Wie entsteht ein unerschütterlicher Wille? Welche Reibungspunkte braucht er? Letzen Endes problematisiert dieser Roman die Fragen: Woher kommt das Böse und warum sind einige Menschen böser als andere? Mailer hat darauf indirekt eine Antwort gegeben, die gleichzeitig die Bandbreite dieses Buches darstellt: "There are two kinds of brave men: those who are brave by the grace of nature, and those who are brave by an act of will." Um zwischen diesen beiden Polen nachzudenken und die größte deutsche Katastrophe etwas besser verstehen zu lernen: Dieses Buch habe ich mit atemberaubender Spannung gelesen. Es kann und will keine definitive Antwort geben, es ist zum großen Teil Fiktion, aber ist das nicht auch alle (seriöse) Geschichtsschreibung? Warum wird es immer den, die Teufel geben? Weil es nur Fragen gibt und keine Antworten, so Normal Mailer. Ich habe übrigens die englische und die deutsche Buchfassung gelesen. Das Buch war im Englischen nicht einfach zu verstehen, ich musste sehr oft den Übersetzungscomputer bemühen. Umso besser die deutsche Übersetzung, mit einigen entstellenden Flüchtigkeitsfehlern (z.B. ein statt kein) zwar, aber trotzdem absolut top!

Handlungsorte

»Bücher sind fliegende Teppiche
ins Reich der Phantasie.«

James Daniel

Buchdetails

Handlungsorte
Wien, Graz, St. Petersburg (Leningrad), Passau, Linz, Waldviertel (allg.), Weitra, Braunau am Inn, Leonding, Döllersheim, Lambach
Buchdaten
Titel: Das Schloss im Wald
Kategorie: Roman / Erzählung von 2007
LeserIn: Happyx
Eingabe: 16.01.2008


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